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Film „Shahid“: Starke Bilder statt vieler Worte

30.07.2024

Aydin Alinejad arbeitet an der LMU und ist zugleich Drehbuchautor. Seine jüngste Produktion läuft aktuell im Kino.

Ein Straßenfeger kehrt neben einer Litfaßssäule

Szene aus dem Film Shahid | © Aydin_Alinejad/Shahid

LMU-Mitarbeiter Aydin Alinejad greift als freischaffender Drehbuchautor Themen filmisch auf, zu denen am Kolleg global:disconnect geforscht wird: Globalisierung, Klimawandel, Migration. Sein jüngster Film „Shahid“, für den er gemeinsam mit Regisseurin Narges Kalhor das Drehbuch schrieb, feierte 2024 auf der Berlinale Premiere, gewann mehrere Preise und läuft aktuell deutschlandweit in verschiedenen Kinos.

Sie arbeiten parallel in zwei Berufen, als IT-Spezialist des Käte Hamburger Kollegs an der LMU und als freier Drehbuchautor. Wie beeinflussen sich diese Tätigkeiten gegenseitig?

Aydin Alinejad: Am Käte Hamburger Kolleg habe ich wirklich ein Traum-Arbeitsumfeld. Meine Tätigkeit hier ist zwar keine Forschungsarbeit, aber ich habe ständig mit aktuellen Forschungsprojekten und -ergebnissen zu tun, und ich komme in Kontakt mit hochinteressanten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Diese vielen Denkanstöße, die ich bekomme, sind natürlich sehr hilfreich für mein Schreiben. Immer wieder höre ich Themen, Namen, Geschichten, die mich inspirieren. Dann kann ich entweder selbst dazu recherchieren oder mit den Forschenden in Austausch treten.

Worum geht es in „Shahid“, dem neuesten Film, für den Sie gemeinsam mit der Regisseurin Narges Kalhor das Drehbuch geschrieben haben?

Der Film ist autofiktional und spielt mit Bestandteilen von Narges‘ Biografie. Die Hauptfigur möchte einen Teil ihres Namens ablegen – „Shahid“ bedeutet „Märtyrer“, und der Name ist für die Figur eine Last. Der Film zeigt ihre Reise durch die bayerische Bürokratie, lotet zugleich ihre Familiengeschichte aus und arbeitet dabei auch mit Elementen aus Theater und Musical.

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Können Sie umgekehrt auch Ansätze aus Ihrer Drehbucharbeit im Kolleg mit einbringen?

Tatsächlich haben sich durch meine filmische Arbeit auch neue Aufgaben am Kolleg ergeben. In unserem Research Center werden geisteswissenschaftliche und ästhetische Ansätze verbunden und die künstlerische Forschung gefördert. Dazu setzen wir auch auf den Austausch mit Kulturinstitutionen. Es ist geplant, dass ich im nächsten Jahr eine Filmreihe für das Werkstattkino konzipiere – denn die Themen, mit denen sich unser Kolleg global dis:connect befasst, sind natürlich auch in der Filmbranche hochaktuell. Es geht, unter anderem, um Klimawandel, Migration, Handel, um alle Aspekte von Globalisierung.

Genau diese Facetten werden ja auch filmisch aufgegriffen. Immer, wenn ich in unseren Kolloquien sitze und den Diskurs verfolge, fällt mir sofort ein Film ein, oft einer von jungen internationalen Filmschaffenden, die hier in München studiert haben, der dem Thema eine interessante Perspektive hinzufügen kann. Allerdings merke ich manchmal auch, dass Wissenschaft und künstlerischer Ausdruck sehr verschiedene Denkweisen erfordern.

Eine Frau steht mit dem Rücken zu einer Bar und jongliert

Szene aus dem Film Shahid

© Aydin_Alinejad/Shahid

Inwiefern steht das analytische wissenschaftliche Denken dem kreativen Ausdruck manchmal im Weg?

Beim Schreiben muss ich mich komplett frei machen vom wissenschaftlichen Denken und Sätze vergessen, die ich als Theaterwissenschaftler gelernt habe, zum Beispiel, dass alles komprimiert und stringent sein muss. Beim Drehbuchschreiben geht es zunächst einmal darum, dass die Dinge auf eine bestimmte Weise wahrhaftig sind und aus dir selbst kommen. Interessanterweise ist die Form oft das Erste, das sich entwickelt, wenn Narges Kalhor und ich zusammenarbeiten: Jeder Film erfordert seine eigene Bildsprache und damit seine eigene Erzählweise. Wir achten sehr darauf, dass Inhalt und Form sich ergänzen. Die Form bringt Struktur in die Arbeit, man weiß, was man erzählen möchte, und weiß, warum man es genau so erzählen möchte. Bei „Shahid“ wussten wir, der Film muss zerstückelt sein, sprunghaft, wir arbeiten mit Wiederholungen.

Ein Mann in orangenem Overall steht vor einem bunten Wand-Teppich

Szene aus dem Film Shahid | © Aydin_Alinejad/Shahid

Die Filmprojekte von Ihnen und Narges Kalhor zeichnen sich durch diese sehr eigene, starke Bildsprache aus. Welche Einflüsse waren dabei besonders wichtig?

Ich denke viel über Bildsprache nach. Natürlich kann ich nicht für Narges sprechen, aber ich frage mich für mich selbst: Hätten wir so eine Filmsprache entwickelt, wenn wir deutsche Muttersprachler wären? Ich glaube, es ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Dadurch, dass wir sozusagen keinem „Standard“ entsprechen, dass wir manchmal in anderen, ungewohnten Mustern denken, hat sich der Fokus automatisch auf die Bilder gelegt.

In „Shahid“ gibt es einen Erzählstrang, der von einer WG handelt, in der viel gesprochen wird. Später haben wir das meiste von dem, was die Leute reden, komplett weggelassen und alles über ein einziges Bild erzählt, eine Einstellung an einer Bushaltestelle. Das funktioniert sehr gut. Wir haben gelernt: Ein Bild kann in kurzer Zeit viel mehr erzählen als ein Wort.

Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass unsere Muttersprache sehr über Bilder funktioniert. Im Deutschen hat man für jede kleine Aktion ein eigenes Verb: laufen, verlaufen, auslaufen, einlaufen… Im Persischen beschreibt man das alles bildhaft – man sagt zum Beispiel nicht „ich vermisse dich“, sondern man sagt „mein Herz ist für dich verengt“. Das kann natürlich auch unbewusst einen Einfluss auf die Arbeit haben.

Wie sieht der gemeinsame Schreibprozess aus?

Narges und ich sind primär sehr gute Freunde, sekundär Kollegen. Die Ideen für die Filme kommen immer von ihr. Wir sprechen dann über die Idee, wir finden die Form, Bilder, Motive. Die Dialoge schreiben wir manchmal jeder für uns und überarbeiten sie dann gemeinsam. Jeder bringt seine Stärken ein: Narges schreibt mehr als ich und führt auch Regie. Mein Fokus liegt dafür stärker auf der Dramaturgie und der Recherche.

Sind bereits weitere Projekte in Planung?

Wir arbeiten gerade an unserem nächsten Film. Inzwischen ist die Arbeit für uns leichter und effizienter geworden. Für unseren ersten gemeinsamen Kurzfilm haben wir damals 19 Fassungen geschrieben. Am Anfang war es wirklich schwierig, in der deutschen Filmbranche unsere Vision zu vermitteln. Es ist nicht unsere Muttersprache, es ist aber eben, wie gesagt, auch nicht unsere Denkweise, nicht unsere Bildsprache. Der Erfolg der ersten Filme hat vieles leichter gemacht für uns, und auch wir vertrauen mehr auf uns selbst. Wir wissen, dass es funktioniert, wie wir arbeiten. Im Moment sind wir dabei, Fördergelder für die Entwicklung unseres nächsten gemeinsamen Drehbuchs zu beantragen.

Können Sie sich vorstellen, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem Sie sich entscheiden müssen zwischen dem Schreiben und der Arbeit am Kolleg?

Ich bin der Meinung, ich habe wirklich ein Luxus-Arbeitsleben; es ist genau so, wie ich es brauche. Durch die Arbeit am Kolleg habe ich beides, Sicherheit und kreative Freiheit. Ein Leben ausschließlich als selbstständiger Drehbuchautor kann ich mir nicht vorstellen. Die Arbeit am Kolleg macht mir großen Spaß. Es ist nicht nur ein inspirierendes Arbeitsumfeld, ein wunderschöner Ort, sondern man hat auch mit geistig schönen Menschen zu tun.

Zur Person:

Aydin Alinejad trägt einen dunklen Pullover und steht vor einem Bücherregal

Aydin Alinejad

hat an der LMU Theaterwissenschaft studiert und arbeitet inzwischen am Käte Hamburger Kolleg dis:connect. | © Käte Hamburger Kolleg dis:connect

Aydin Alinejad, 1981 in Teheran geboren, arbeitete bereits in seiner Jugend im Iran an Drehbuchprojekten, etwa für den bekannten Regisseur und Theatermacher Ali Rafii. Mit 28 Jahren kam er nach Deutschland und studierte ab 2010 an der LMU Theaterwissenschaft.

Während des Studiums entstand sein erstes eigenes Drehbuch: Im Rahmen einer Projektwerkstatt am Institut für Theaterwissenschaft schrieb er 2013 das Skript für den Film „Nabilah“, der unter Beteiligung des BR produziert wurde und beim Lyon International Film Festival den Preis für das beste Drehbuch gewann. Nach dem Abschluss des Master-Studiums an der LMU arbeitete Alinejad am Lehrstuhl von Christopher Balme und verfolgte parallel seine Karriere als Drehbuchautor und Dramaturg.

Seit 2021 ist Alinejad am zur LMU gehörigen Käte Hamburger Kolleg global dis:connect verantwortlich für den Bereich IT und digitale Workflows und unterstützt darüber hinaus die Fellows des Kollegs bei der Forschungskommunikation. Zugleich ist er weiterhin als Autor erfolgreich: Gemeinsam mit seiner Kreativ-Partnerin Narges Kalhor schrieb er bislang die Drehbücher zu insgesamt vier Filmen.

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